Gastbeitrag NN

"Brasilien lernte von Bonn"

Gastbeitrag in den Nürnberger Nachrichten
Jean-François Drozak erklärt, wie das Grundgesetz Vorbild für andere wurde.
Wie blicken unterschiedlichste Menschen aus der Region auf die Demokratie? In unserer Serie kommen acht Stimmen zu Wort.  Den sechsten Gastbeitrag liefert Jean-François Drozak, Theaterpädagoge in Nürnberg:


Brasilien entledigte sich Mitte der 80er Jahre seiner Diktatur. Die Verfassungsgründer überlegten, an welchem demokratischen Land sie sich zukünftig orientieren wollten. Bis heute können sich in Deutschland ausgebildete Juristen in die Gesetzgebung meiner Heimat leicht eindenken. Denn Brasilien übernahm das deutsche Beispiel fast eins zu eins. Deutschland galt in Südamerika als Musterland, weil hier die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft gelebt wurden.

Dies ist die Errungenschaft der ersten Nachkriegs-generation und der Babyboomer. Allerdings haben beide Generationen mit harten Bandagen um die richtigen Antworten auf gesellschaftliche Themen gerungen. Der politische Diskurs war nicht einfacher als heute. Brasilianische Rechtskonservative beschimpfen Präsident Lula da Silva als Kommunist. Lulas Agenda hat viel mit der Politik der CSU gemein. Hierzulande würde aber niemand Markus Söder als Kommunisten bezeichnen. In Brasilien wird über solidarische Grundsätze diskutiert, die in Bayern selbstverständlich sind. Wir leben im Gegensatz zu anderen Teilen der Welt auf einer Insel der Glückseligkeit. Und doch müssen wir genauer hinschauen, wo strukturelle Ungerechtigkeiten vorhanden sind.


Der ehemalige Oberbürgermeister Ulrich Maly hat mich inspiriert. Auch der jetzige Nürnberger Stadtrat prägt meine persönliche Haltung weiterhin. Ich habe den von Maly propagierten Begriff der solidarischen Stadtgesellschaft verinnerlicht. Er ist der beste Impfstoff gegen Demokratieverdrossenheit. Ich habe keine Angst um die Demokratie. Ich kenne viele Menschen, die sich für sie einsetzen. Jede Begegnung ist eine Vergewisserung gemeinsamer Werte. Wenn mir trotzdem mulmig wird, entwickele ich mit Freunden weitere charmante Projektideen. So ist die „Nordkurve“ entstanden.


Die Stadtverwaltung unterstützt uns, wo es nur geht. Die Nordkurve ist ein Showroom in Gostenhof. Hier darf jeder für einen Abend Wirt spielen und seine Freunde einladen. Die Nachbarschaft muss mitfeiern dürfen. So werden Fremde zu Bekannte. Wir bieten Raum für Ausstellungen oder kuratieren sie selbst. Wir suchen nach neuen Formen der Erinnerungskultur, da bald die letzten Zeitzeugen des Holocaust sterben werden. Wir inszenieren pro Jahr über 50 Theaterprojekte, die sich mit wichtigen gesellschaftlichen Themen befassen.

Nicht zuletzt vermitteln wir jungen Menschen den Wert von lokalem Qualitätsjournalismus, denn eine Stadt ohne Tageszeitung ist ein Dorf. Die Nordkurve engagiert sich bayernweit gegen Rechtsextremismus.


Ein Tipp zum Schluss. Es ist lohnend, sich mit dem Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus der Bayerischen Staatsregierung zu befassen. Leider gibt es eine gewisse Skepsis gegenüber staatlichen Stellen. Die Zivilgesellschaft sollte in dieser Frage den Schulterschluss suchen. Wir können uns Differenzen aus politischem Kalkül nicht mehr erlauben.

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